Die wiederentdeckte Einfachheit? Eine Verbeugung vor der Stahlfelge. Ehrlich, robust und pflegeleicht.
Keine Sorge, die nachfolgenden Zeilen sind keine verbitterte Abrechnung mit der Gegenwart von einem rückwärts in die Geschichte gerichteten Schreiberling. Auch ich verschließe mich nicht dem Fortschritt. Egal, ob Komfort- oder Sicherheitsextras oder Elektroantrieb. Es passiert viel, und das ist gut so. Aber trotzdem darf, bei differenzierter Betrachtung der Automobilgeschichte, auch eine kritische Frage gestellt werden.
Wann sind wir eigentlich falsch abgebogen? Die erste Person Plural ist bewusst gewählt, denn Kunden und Hersteller sitzen da wohl im gleichen Boot. Haben wir Käufer auf das Angebot reagiert oder durch die Nachfrage dieses erst bewirkt? Es geht um pragmatisch-praktische Dinge, die die Funktion der Form bzw. dem Aussehen folgen lassen.
Früher war weniger Lametta
Gestattet mir erst einen kleinen Rempler-Rückblick, bevor es um das eigentliche Thema geht. Jeder macht mal Fehler; wie ich im Winter 1999. Beim Ausparken mit meinem damaligen VW Golf II (Basisversion C, Baujahr 1986 – also noch mit den klassischen Stoßstangen) erinnerte ich mich zwar an einen größeren Schneehaufen hinter dem Auto, aber nicht mehr an den mütterlichen BMW 318i, damals gerade mal zwei Wochen alt. Rückwärtsgang rein, kräftig aufs Gaspedal (der Schneehaufen!) und „rumms“. Der BMW kam in die Werkstatt, die Versicherungen klärten das. Schaden am 3er (E46) rund 5.000 Deutsche Mark, weil Stoßfänger, Träger, Scheinwerfer und Kühlergrill kaputt waren. Auch der Golf fuhr auf die Hebebühne. Schäden? Keine! Weder an der robusten Kunststoff-Stoßstange noch an ihrer Verankerung mit der Karosserie.
Dieser Exkurs zeigt ein Beispiel, wie kompliziert Autos in manchen Dingen über die Jahrzehnte geworden sind. Ein heutiger VW Golf hätte bei der geschilderten Begegnung auch massive Schäden davongetragen. Nicht nur wegen den Parksensoren. Sondern vor allem deswegen, weil der „Stoßfänger“ heute nicht mehr die Funktion hat wie früher, sondern als Gestaltungselement des Autos gilt. Eskaliert wird diese Karikatur beispielsweise bei den kompakten SUV Hyundai Tucson und Kia Sportage. (Nicht nur) hier sitzen Blinker und weitere Bestandteile der Rückleuchten außen im hinteren Stoßfänger. Jeder Parkrempler kann zu teuren Schäden führen, nicht nur wegen der Lackierung in Wagenfarbe. Diese Position hat übrigens nichts mit möglichen Zulassungsvorschriften zu tun. Mehrfach wurden wir von Designern einfach optische Gründe für diese Position genannt.
Der alte VW Golf aus der Geschichte oben rollte auf Stahlfelgen, für den BMW 318i wurden die damals schicken (und heute klassischen) Leichtmetallfelgen „Elipsoidstyling“ konfiguriert. Beides tut eigentlich nichts zur Sache, bietet aber die perfekte Überleitung zum Thema dieser Niederschrift. Noch mehr als die zur lackierten Kittelschürze mutierte Stoßstange bieten Felgen – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Angriffsfläche.
Erweckte Begehrlichkeiten

Eine schicke Leichtmetallfelge, umgangssprachlich auch Alurad genannt, galt früher als Merkmal hochpreisiger Autos oder als erstrebenswertes Tuning-Extra aus dem Zubehör. Irgendwann muss die Nachfrage einen kritischen Punkt überschritten haben, der die Betriebswirte bei den Herstellern die Entscheidung zum Ende der Stahlräder bewegt hat. Warum etwas anbieten und die gesamte Infrastruktur aufrechterhalten, wenn es keine ausreichende Nachfrage gibt? Oder war es doch die sanfte Erziehung der Käufer? Erst ist das Extra erstrebenswert, dann kaum wegdenkbar und schließlich Serie. Das neue Auto wird zwar teurer, aber hey, dafür ist ja mehr Ausstattung drin. Noch besser als bei Rädern lässt sich exakt diese Steuerung bei digitalen Kombiinstrumenten nachverfolgen, die bei Volkswagen als „Active Info Display“ erst Aufpreis kosteten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Kommen wir zurück auf den Boden der Tatsachen und damit auf den Asphalt. Der bekam in letzter Zeit in Deutschland immer mehr Flicken und Löcher. Nicht nur teils schlechte Bauqualität oder der Investitionsstau von Bund und Kommunen, sondern auch der zunehmende Verkehr mit immer schwereren Fahrzeugen macht dem Untergrund zu schaffen. Um das zu erkennen, muss man nur in einer beliebigen Vorortstraße vor die Tür treten.

Lkw und Transporter müssen dem Gegenverkehr ausweichen, achtlose Autofahrer parken reifenmordend mit der halben Profilfläche auf dem Randstein. All das sorgt für bröckelnde oder absinkende Kanten – da kann der beste Straßenbauer noch so akkurat die Linien gezogen haben. Beim Einparken am Straßenrand denkt man da nicht dran, hat das Hinterrad oft nicht genau im Blick. Da ist es schnell passiert. Die teure Felge aus dem - verhältnismäßig - weichen Leichtmetall bekommt Furchen und Kratzer in der noch dazu oft hochglanzpolierten Oberfläche. Ein niedriger Reifenquerschnitt erleichtert dem Bordstein den Angriff auf die Felge. Ersatz ist meist teuer – im Zubehör sind viele Felgen nochmals preisintensiver als beim Klick in der Optionsliste des Neuwagen-Konfigurators.
Damit wir uns nicht falsch verstehen. Oft ist ein Auto ein mit Emotionen aufgeladener Kauf, da spielt die Optik natürlich eine wichtige Rolle. Ansonsten würden ja alle mit gesichtslosen Kisten von A nach B fahren. Wobei auch das mit Stil erfolgen kann. Den Beweis liefert ein Blick nach Japan. Strikte Zulassungsbestimmungen sorgen dort für großen Erfolg der „Kei Cars“, bei denen Größe und Leistung streng reglementiert sind. Aber auch bei größeren Fahrzeugen zeigt der asiatische Pragmatismus einen gewissen Reiz, wie der Toyota Probox mit Stahlfelgen auf dem Aufmacher-Foto dieses Beitrags beweist.
Auf die Größe kommt es an

Auch wenn Designer uns immer wieder eintrichtern, dass große Räder ein Auto schöner machen, was aktuell zu bis zu 23 Zoll großen Felgenoptionen führt – im Alltag sind die Alu-Walzen nicht nur aufgrund der Anfälligkeit für Schäden unpraktisch. Auch der Fahrkomfort leidet, da größere Räder die ungefederten Massen des Autos steigen lassen. Hier liegt übrigens die Wiege der Leichtmetallfelgen-Option, wie es der Name schon sagt - nur dass eben das 20-Zoll-Rad oft mehr wiegt als die 17-Zoll-Stahlfelge.
Die klassische Stoßstange dürfte kein Comeback feiern. Aber aktuell kommen vereinzelt wieder neue Autos mit Stahlrädern auf den Markt, nachdem der aktuelle Land Rover Defender den Anfang machte. Es sind aber nicht mehr nur nutzwertige Offroader, darunter auch der Ineos Grenadier oder der Suzuki Jimny, die auf Alu als Serienausstattung verzichten. Gerade bei Kleinwagen und kompakten Modellen, die im Großstadtdschungel tagtäglich ihren Dienst verrichten, hat die wiederentdeckte Praktikabilität ihren Reiz. Der Stellantis-Konzern scheint bei einem Zulieferer Mengenrabatt zu bekommen. Neben dem Fiat Grande Panda kann man auch den Opel Frontera in der Basis-Linie Edition mit Stahlrädern bekommen. Der Frontera steht als Mildhybrid-Benziner auf weißen Felgen, bei der Elektro-Basis sind sie schwarz.
Subarus auf Stahl

In beiden Fällen sorgt der Mut zum Basis-Rad auch für einen dezenten Retro-Schick. Zumindest in den Augen von Menschen, die heimliche Klassiker wie den Toyota Tercel 4WD aus den 1980er-Jahren ästhetisch finden. Beim japanischen Allrad-Kombi stand gewiss auch der Offroad-Einsatz im Lastenheft, bei dem Aluräder schnell leiden. Wer heute einen Subaru artgerecht bewegt, der bekommt jetzt zumindest im Zubehör der japanischen Marke das passende Schuhwerk. In Zusammenarbeit mit Alcar bietet Subaru Stahlfelgen mit 17 und 18 Zoll Durchmesser als Nachrüstsatz für die Baureihen Impreza, Crosstrek und Forester an.
Besser als die nach außen sichtbare Stahlfelge blieb in den vergangenen Jahrzehnten die Radvollblende akzeptiert. Sie schützt Nabe und Radschrauben vor Witterungseinflüssen und lässt sich von den Kreativen besser an das Karosseriedesign des Autos anpassen. Beim oben erwähnten Kontakt mit dem Bordstein am Straßenrand zieht die Kunststoffabdeckung zwar auch schnell den Kürzeren, lässt sich dann aber kostengünstiger ersetzen als eine Leichtmetallfelge.
Auto mit Stahlfelgen im Video: Opel Frontera
Der Zwilling des Fiat Grande Panda, der Citroën C3 setzt in der Basisversion als Verbrenner und Elektro-Kleinwagen auf Radkappen, ebenso der Hyundai Inster. Beim kommenden Nissan Micra, der auf dem Renault 5 basiert, sorgt die Wahl der verblendeten Stahlfelge beim Basismodell für einen interessanten optischen Effekt. Da der auf die Felge gesteckte Kunststoff bis über den Rand der darunterliegenden Felge reicht, wirkt diese Radkombinationen minimal größer als die Leichtmetallfelgen im Micra-Angebot. Der Elektro-Kleinwagen rollt immer auf 18-Zoll-Felgen.
Wie schön, dass wir diese Zeilen mit einem modernen Auto, dass erst später im Jahr 2025 auf den Markt komm, schließen können. Ich bat ja eingangs darum, mir keine Rückwärtsorientierung vorzuwerfen.
Fazit

Wer schön sein will muss leiden. Dieses, zugegeben arg abgedroschene, Zitat kommt dir spätestens dann in den Sinn, wenn eine kleine Unachtsamkeit beim Ein- oder Ausparken die teure Leichtmetallfelge mit dem Bordstein in Kontakt bringt und hässliche Kratzer hinterlässt.
Einige Hersteller bringen wieder unkompliziertere (aber selbstredend nicht unkaputtbare) Stahlfelgen auf den Markt, meist in Kombination mit Basismodellen. Nehmen die Kunden dieses Angebot an? Bestellen sie doch auch dafür Aluräder als Option oder im Zubehör-Programm? Ich halte die Augen offen – und stets ein paar Zentimeter Sicherheitsabstand zum Randstein…